Städtebauliche, architektonische und finanzielle Bedenken
Kitsch an der Reuss
Martin Jauch
Das geplante Neubauprojekt für das Theater in Luzern steht vor allem bei Architekten in der Kritik: Städtebauliche Fehlplanungen, architektonische Mängel und die Gefahr von massiven Kostenüberschreitungen werfen Fragen zur Machbarkeit und Sinnhaftigkeit des Vorhabens auf. Von der Beeinträchtigung historischer Fussgängerachsen bis hin zu fehlender Barrierefreiheit und kitschigen Designelementen – die Argumente des Architekten Martin Jauch zeigen, warum das Projekt einer kritischen Überprüfung bedarf.
Das Raumprogramm ist für das verfügbare Areal zu gross. Der Neubau platzt aus allen Nähten. Die südlichen Anbauten verschmälern den Hirschengraben unvermittelt, es verbleibt bei Fassadenhöhen von bis zu 28 Metern noch eine beklemmend enge Strassenschlucht von 6 bis 7 Metern Breite. Dieser Massstab ist für die Neustadt ein Exot, und für die Raumqualität der Nachbarbauten mindestens problematisch. In der Regel sind die Stassen in der Neustadt bei Fassadenhöhen von 18.50 Metern 12 bis 15 Meter. Der Schnitt durch den Hirschengraben zeigt das eigentlich auf. Die oft gerühmte „hochkarätige“ Jury hätte das sehen müssen.
Städtebau: Fussgängerachsen
Ein wesentlicher ortsbaulicher Mangel ist der Unterbruch der wichtigsten Fussgängerverbindung zwischen Neu- und Altstadt. Der Weg zwischen der Hirschmattstrasse, durch die Passagen Kantonalbank und Buobenmatt, unter dem Theater und dann über die Reussbrücke zum Kornmarkt wird täglich von tausenden von Passanten genutzt. Mit dem Neubauprojekt wird diese wichtige Achse radikal abgeblockt – man wird um das neue Haus herumgehen müssen. Das ist tatsächlich ein unverzeihlicher Fauxpas.
Eigentlich eröffnet ein solch intensiv genutzter Weg die allerbeste Chance, das Theaterleben präsentieren zu können. Einblicke ins Foyer, in die Gastronomie oder vielleicht sogar in den Saal würden die beliebten Fussgängerverbindung aufwerten und dem Theater die gewünschte Öffnung nach aussen bieten. Le Corbusier hat ein solches Konzept „Promenade Architecturale“ benannt, und unter anderem im Mill Owners Association Building exemplarisch durchexerziert. Natürlich gibt es funktionelle Herausforderungen, aber Architekten sind dafür da und auch daran gewöhnt, sie zu lösen. Wenn Leserbriefschreiber Zingg meint, es seien ja nur 100m mehr Fussweg, dann muss man sagen: Innerstädtische Fussgängerverbindungen sind kein Sportanlass. Sie müssen Selbstverständlichkeit ausstrahlen.
Die Jury mag „hochkarätig“ gewesen sein, aber genaue Ortskenntnis ging ihr offensichtlich ab.
Städtebau: Bedeutung des Freiraums
Nur weil damals an die Jesuitenkirche angelehnt der Freienhof stand, ist dies kein Argument für eine erneute Bebauung. Die Zeiten haben sich verändert: heute kommt dem Freiraum in der Stadt eine viel höhere Bedeutung zu als vor 130 Jahren. Die Stadt ist gewachsen, die Aussenräume sind knapper geworden, die Nutzung hat sich verdichtet. Am Beispiel Inseli sieht man, wie wertvoll solche innerstädtische Freiräume sind.
Architektur: Kitsch
Die aufgesetzten „Vogelhäuschen“ (Zitat Andy Raeber) erfüllen eine der Kriterien für Kitsch: die Verwendung einer Form oder eines Gegenstandes für einen anderen Zweck – zum Beispiel: der Gebrauch eines Horns als Bierhumpen. Die „Vogelhäuschen“ sind funktional wertlos: ein Schnürboden beispielsweise braucht keine schiefen Dachflächen. Das einzige Ziel ist dasjenige des formalen Abklatsches: Diese Elemente biedern sich den Giebelfeldern der Kirche und des Theater an – als reichlich plattfüssige Assoziation.
Architektur: Barrierefreie Erschliessung
Ein Detail: Das „Stadtfoyer“ ist ein öffentlicher Raum. Ein solcher muss zwingend barrierefrei erschlossen sein. Ein Lift fehlt aber in den Plänen. Die ersten 200’000 Franken Kostenüberschreitung sieht man schon im Vorprojekt…
Besonders lustig: Beim in der Kornschütte ausgestellten Projekt ist das „Stadtfoyer“ auch für Treppengänger nur mit Verrenkungen erreichbar: Nach 7 Stufen ist man etwa 1 Meter tiefer und muss dann auf alle Viere, um unter dem Foyer weiterzukommen.
Buobenmatt: Bausünde?
Kollege Geissbühler findet, die einzige Bausünde sei die Buobenmatt. Das kann er aus der heutigen Froschperspektive so sehen. Allerdings war dieser Bau das Resultat eines Projektwettbewerbs von 1980 mit ebenfalls „hochkarätiger“ Jury. 1980 war das Jahr der „Strada Novissima“ in der Corderia der Biennale in Venedig – das Fanal der Postmoderne. Man kann zur Postmoderne stehen wie man will, aber es handelt sich immerhin um eine klar erkennbare Stilrichtung, die über das folgende Jahrzehnt die internationale Baugeschichte geprägt hat. Es ist sehr gut möglich, dass dieser Bau mit weiteren 20 Jahren Phasenverschiebung als schützenswerte eingestuft wird – so wie es heute dem Brutalismus ergeht, der wieder allgemein gefeiert wird. Als Argument für den Theaterbau dient das Buobenmatt-bashing deshalb nicht.
Kosten: Honorar und Planungskredit
Ich muss Kollege Andi Scheitlin (Leserbrief) recht geben. Ein Dreisatz zur Abschätzung der Erstellungskosten ist nicht zielführend. Ich habe basierend auf der aufgeschlüsselten Summe des Architektenhonorars aus der Botschaft die Erstellungskosten ermittelt, und das Resultat verweist tatsächlich auf eine Basis von 130 Millionen. Die Rückkalkulation basiert auf der zur Ermittlung des KV nötigen Teilleistungen, des Schwierigkeitsgrades für einen Theaterbau und einem marktgängigen Stundenansatz. Erstaunlich ist bloss, dass der Anteil an Bauherrenleistungen, Projektleitungen, Promotion und ähnlichen Nebengeräuschen so hoch ist wie ich sie noch nie zuvor angetroffen habe.
Ich sage damit jedoch nicht, dass ich den 130 Millionen vertraue, denn der Vergleich mit dem KKL legt nahe, dass zwischen Abstimmung und Abrechnung bei solchen Bauten einiges an Mehrkosten anfallen wird. Entgegen eines kürzlich veröffentlichen Leserbriefs gab es beim KKL durchaus massive Kostenüberschreitungen in allen Planungsphasen. Die Mehrkosten zu den damals veranschlagten 195 Millionen zur Abrechnung von 226 Millionen war etwa 30 Millionen, also 15%. Und ursprünglich wurden den Stimmberechtigten der Stadt Luzern 1994 Kosten von 94 Millionen Franken für den Bau versprochen. Im Vergleich zur ersten Abstimmung hatten sich die Kosten also mehr als verdoppelt. Es ist also ziemlich klar, dass 130 Millionen nicht reichen. Dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man diesen Kredit befürwortet.